Auferstehung.
Ich bin aufgestanden. Nicht, dass ich seit Wochen im Bett liegen würde, nein, das tat ich nicht, doch ich war so tief in mir und meinen Schmerzen versunken, dass ich den Eindruck hatte, nicht mehr an diesem Leben zu sein. Ich war zwar noch auf dieser Erde, doch auch wieder nicht. Ich konnte all die schönen Dinge, die Umgebung, die Menschen, die Sonne, die Wärme nicht mehr wahrnehmen, der Schmerz, das Dunkel des Tunnels, in dem ich mich fühlte, war und ist teilweise jetzt noch so allmächtig, dass kein Licht zu mir durchdringen kann, keine Freude mich erreichen könnte, weder mein(e) eigenes noch das von außen. Wie in der Mitte eines Tunnels, weder das Licht vom Anfang, noch das Licht am Ende ist sichtbar, ich bewege mich in Miniminischritten, ohne wirklich sicher zu sein, dass mich dieser Schmerz, so plötzlich wie er gekommen ist, auch wieder loslässt.
Fast zwei Monate, genau sieben Wochen und 6 Tage bin ich weg von zu Hause, 6 Wochen und 3 Tage bin ich hier an diesem einen Platz und 20 Tage bin ich krank und in Wirklichkeit vielleicht schon etwas länger.
Ich habe die ersten Symptome nicht deuten können. Bläschen am Rücken, juckend, nässend, für mich selbst nicht sichtbar, nur fühlbar. Thomas schaut sie sich genauer an, meint sie sehen aus wie Windpocken. Herpes schießt mir in den Kopf. Meine hypochondrische Natur lässt mich immer gleich das Schlimmste ahnen… ich versorge die Bläschen mit Wundsalbe und meide Körperkontakt mit Thomas, da ich ihn auf keinen Fall anstecken will. Komisch, solche Bläschen hatte ich noch nie. Danach steigerten sich Unwohlsein, Erkältung, Müdigkeit, heftige Nervenschmerzen entlang des Ischias, bis mir eines Nachts der Gedanke ins Hirn schoss: Gürtelrose.
Oh weh. Ich bat meine liebe Nachbarin Isabell drüber zu schauen und sie bestätigte meinen Verdacht. Gürtelrose. Ich konnte mir sofort vorstellen, dass mein Immunsystem im Tunnel zu leiden begonnen hat und mich diese Schmerzen, es sind in der Tat scheußliche Schmerzen, die mir an manchen Tagen unerträglich sind, auffordern wollen. Zu was weiß ich nicht so genau, oder nein, ich weiß es, ich will es nur nicht wissen und wahrscheinlich müssen sie deshalb diesen Ausnahmezustand annehmen, damit ich mir Raum und Zeit nehme ihre Botschaft zu verstehen.
Heute nach 20 Tagen und zwei ganz besonders schlimmen letzten Tagen, habe ich den Eindruck, dass entweder die Raus Tox Globuli von Isabell helfen, oder die Ruhe, die ich mir heute wieder einmal verordnet habe, oder das Licht, das ich langsam wieder sehen kann, oder alles zusammen.
Seit 4 Tagen haben wir ein Mietauto, einen Skoda Fabia. Was ein Luxus, ein Auto mit dem auch ich endlich den Radius erweitern kann, ein Grund für mein Krankwerden war ganz sicherlich, meine Unfähigkeit stark genug für meinen Wunsch, mein Bedürfnis ein Fluchtmobil zu mieten einzutreten.
Es tut Thomas leid, dass er mich öfter überhört. Seine Stimme lauter ist, als meine. Doch ich hätte ja die Möglichkeit meine Stimme zu erheben, wenn etwas anders läuft, als es mir gut tut. Doch diese Übung ist eine harte Nuss für mich und ich muss wohl daran üben.
Nach all den Missverständnissen und Thomas Hilflosigkeit meiner eigenen Hilflosigkeit gegenüber, haben wir auch, wie immer, wieder einen liebevollen und friedvollen Weg gefunden, uns einander mitzuteilen und zu unterstützen.
Thomas fährt mich die letzten 3 Tage durch die Landschaft. Wie herrlich den Tunnel zu verlassen. Ins Licht zu fahren und den Platz hier, der dank unserer lieben Nachbarinnen, Isabell und Emmy ein bisschen heimatlicher für mich geworden ist, hinter mir zu lassen. Zu sehen, es gibt mehr, als die Routine, die Eintönigkeit, den Alltag an diesem Platz.
Wären die Schmerzen nicht so stark, könnte ich mich noch mehr erfreuen an den Ausflügen und der blühenden Landschaft, den Bergen, den Blicken aufs Meer, doch ich hoffe, dass sie immer besser werden und ich bald ganz ohne Schmerzen das Hier und Jetzt in vollen Zügen genieße.
Ich mache das Beste daraus und freue mich über die liebevolle Unterstützung von Thomas und Isabell, die mir mit all ihrem ärtzlichen und spirituellen Rat zur Seite steht.
Glück im Unglück, eine Ärztin zur Nachbarin zu haben. Ich fühle mich in ihrer Gegenwart mit meinem lädierten Körper sicherer.
Unsere Ausflüge führten uns zum Palmenhain nach Elche. 200 000 Palmen wachsen hier, die größte Palmenoase in Europa. Auf unserer Castellotour gestern sahen wir uns einige uralte Castillos an und ich genoß allem voran gefahren zu werden und die Schönheit der Natur, der Berge, der blühenden Bäume und Wiesen in mich einzusaugen.
Rosa blühende Mandelbäume, ich vermute weiße Kischblüten und unzählige gelbe Margaritenblüten machen aus den Wiesen Gemälde, deren Schönheit sich meine Augen kaum entziehen können.
Thomas hält dann und wann um Fotos zu machen, die uns die schönen Erinnerungen bewahren sollen. Am Abend stellt er sie auf sein Profil bei WhatsApp, eine neue Funktion, die ihm dank Vreni aus der Schweiz im Süden von Frankreich zugänglich geworden ist.
Er freut sich sehr über die Bilder und mindestens genauso sehr über seine treuen Statusbegleiter. Manche Tage folgen ihm 40 Menschen, die er kennt. Das tut Thomas so gut, wie auch die Sozialkontakte, die er hier hat, die Menschen die er beim Spülen trifft und sonst wenn er über den Platz geht. Thomas geht es bis auf seine üblichen Erkältungssymptome gut und ich freue mich sehr, dass es ihm so gut geht.
Ich freue mich, wenn es mir und meinen Lieben gut geht und obwohl ich mich im Moment nur um mich kümmern kann, das soll wohl so sein, geht es meinen Lieben gut. Thomas ist glücklich und entspannt und seit mein Kranksein einen Namen hat, kann er besser damit umgehen und Papa hat seine Hüft-OP bestens überstanden. Darüber bin ich auch sehr dankbar, denn mit 90 Jahren ist das sicher keine Selbstverständlichkeit. Sarina und Alica geht es gut und sie wünschen sich, dass ich schnell wieder gesund bin. Ja, das ist das höchste Gut Gesundheit. Ohne Gesundheit ist alles nichts und so wünsche ich mir nichts sehnlicher, als bald wieder gesund und in meiner Kraft zu sein und dasselbe wünsche ich meinen Lieben und jedem Wesen auf dieser Erde.
Meine eigenen Leiden und Schwächen machen mich auch mitfühlend für die Schwächen anderer Menschen, doch ich muss auch lernen, mit meinen eigenen Leiden mitfühlend und wie sagte einmal eine alte Messnerin zu mir, barmherzig zu sein. Ja, ich darf barmherzig auch mit mir selbst sein. Leider schäme ich mich oft meiner Schwäche und Leiden, beschuldige mich selbst, sie verursacht zu haben, doch so allmächtig bin ich dann vielleicht doch nicht und wer weiß für was dies alles gut ist.
Ich will gesund sein und das mir mögliche dafür tun.